www.depeche-world.de

CD-Tipps

Dave Gahan Martin L. Gore Andrew Fletcher Alan Wilder Vince Clarke
 
 

 

|| Archiv CD-Tipps 2008 - 2010 || 2011 - 2016 ||

04.02.2018: Simple Minds - Walk Between Worlds

 

Eigentlich bin ich ja ein Fan der Simple Minds. Ihre Musik hat mich all die Jahre immer begleitet. Auch wenn meiner Meinung nach „Real Life“ (1991) das letzte wirklich gute Album der Schotten war, bin ich immer noch sehr interessiert gewesen, was ihre Veröffentlichungen angeht. Leider hatten die Simple Minds doch das gleiche Schicksal, wie viele ihrer Wegbegleiter aus den guten alten achtziger Jahren. Der Ruhm verblasst, und der kreative Output findet nicht mehr den Anklang, den man sich wünscht. Die Jahre über wurden die Clubs wieder kleiner, wo man auftritt. Aber Jim Kerr und Charlie Burchill ließen sich nie von ihrem Weg abbringen und haben sich all die Jahre irgendwie mit mittelklassigen Alben und nicht enden wollenden „Best of“-Compilations und Touren über Wasser gehalten.

Nach ihrer Akkustiktour 2017 war fast nicht mehr damit zu rechnen, dass die Simple Minds nochmal mit kreativem Output glänzen würden, fand sich doch in der Setlist der Tour kein Stück, das nicht älter als 20-25 Jahre alt war.

Wie Phönix aus der Asche stehen sie jetzt aber wieder da. „Walk Between Worlds“ heißt der neue Longplayer, und neben einer abermals ausgewechselten Mannschaft haben Kerr und Burchill sich eine Frischzellenkur in Form von Andy Wright und Gavin Goldberg (Big Music) an die Regler geholt, die ihnen halfen, das neue Material in die richtige Form zu bringen. Und sie haben ganze Arbeit geleistet.

„Magic“, die erste Single aus dem Album, eröffnet eine verdammt gute Platte. Selten haben die Minds so frisch, aufgeklärt und doch rückwärtsgewandt geklungen. „Magic“ hat Dampf und Melodie. Ein Mainstreamhit, wie ich ihn nicht erwartet habe. Jim Kerr wirkt auch aufgeweckt und rhythmisch in seinem Gesang. Ein Stück mit Weite. So viel Frische hätte ich mir von meinen anderen beiden Lieblingsbands aus den Tagen auf ihren aktuellen Platten gewünscht. „The Signal And The Noise“ ist ebenso eine Perle. Jim Kerr besinnt sich im Gesang seiner New Wave-Wurzeln, und musikalisch ist dieser Song ein Brett.

Mit „Barrowland Star“ greifen die Simple Minds auf alte Bombaststreicher und hymnenhafte Melodien zurück. Ein Stück, das mich an Stadionzeiten mit den Minds erinnert. Als besonderes Highlight der Platte muss das titelgebende „Walk Between Worlds“ für mich herhalten. Das langgezogene Streicherintro lässt mich schwergängige Beats und Kerr’s Leiden erwarten. Doch weit gefehlt. Es eröffnet sich ein Stück voll positiver Energie und ist ein weiterer Kandidat auf den Airplay-Thron.

Was ist hier also geschehen? Die Frischzellenkur hat den Simple Minds verdammt gut getan. „Walk Between Worlds“ ist vielleicht das erste schlüssige Album seit den frühen neunziger Jahren, wo sie sich von ihrer eigenen musikalischen Geschichte inspirieren lassen, ohne den alten Tagen nachzuweinen. „Sense Of Discovery“ klingt z.B. wie vom 85-Überalbum „Once Upon A Time“, nur besser.

Jim Kerr taugt heutzutage nicht als Bono-Zweitauflage wie Ende der Achtziger, also versucht er es auch gar nicht erst. Die Welt müssen andere retten. Und die Zeiten, wo Kerr als Revolutionsanführer gelten wollte, sind lange vorbei. Das hat Jim Kerr als Speerspitze der Simple Minds heute alles nicht mehr nötig. Er und sein best buddy Burchill haben musikalisch ihren Frieden gemacht. Und das hört man der Platte an. Die Durststrecke der Simple Minds ist definitiv überstanden. Vielen Dank dafür!

 

13.11.2017: Boytronic - Jewel

 

Wie kann man 2017 am besten eine Platte pushen? Am besten mit einem kleinen Eklat wie Streit der Mitglieder untereinander, Tod oder andere Skandale.

Diese Strategie scheinen Boytronic auch dieses Mal gewählt zu haben. Ihr neuestes Werk „Jewel“ erlangt hauptsächlich dadurch Aufmerksamkeit, weil es das erste Album ohne ein Gründungsmitglied der Band ist. Hintergrund: Holger Wobker, Gründungsmitglied und seit jeher Sänger bei Boytronic, scheint die Namensrechte an der Band zu halten. Sein ehemaliger Mitstreiter Hayo Lewerentz hat sich jetzt mit anderen Musikern/Produzenten zusammengetan und unter dem Namen das Album veröffentlicht. Ist dieser Hintergrund jetzt wichtig? Definitiv nicht. Boytronic sind nie wirklich relevant im Popbusiness gewesen und haben nach dem relativ wegweisenden Album „The Working Model“ (1983) nur noch das gut produzierte Album „The Continental“ (1985) veröffentlicht. Also hat man auf „Jewel“ als-Platte nicht wirklich gewartet, oder?

„Jewel“ ist auch nicht mehr als eine gute Electroplatte, die es eigentlich nicht nötig hat, mit einem Negativstempel beworben zu werden. Stellenweise sehr an die 80er angelehnt, ist es jetzt aber nicht so, dass die Platte ein reines Retrowerk geworden ist. Stimmlich wurde das Projekt durch James Knights verstärkt, einem Londoner Musiker, der selbst musikalisch sehr an Sound und Kompositionen festhält. Seine Stimme reiht sich in dem Electropulk sehr gut ein, und er macht einen verdammt guten Job.

Von den Kompositionen höre ich leider viele, zu viele 80er Referenzen heraus. Hier eine Anlehnung an Visages „The Damned don’t cry“ (Time after midnight), da schwulstige Italo-Schmachttöne (The Universe), und auch Italodisco wird mir ein wenig zu viel zitiert. Völlig unnötig ist das U2-Cover „New Years Day“ geworden. Wenn man so einen Track schon ans Ende der Platte legt, dann wäre es auch kein Verlust gewesen, den Track komplett zu streichen. Damit haben die Herren sich definitiv keinen Gefallen getan. Aber, die junge Käuferschaft, die mit diesem Album angelockt werden soll, wird das Original wohl auch gar nicht mehr kennen.

Von der Produktion ist „Jewel“ sehr gut geworden, und man hört, dass Hayo Lewerentz sein Handwerk versteht. Egal ob bei Zimmerlautstärke oder auf dem Floor, „Jewel“ ist eine tanzbare Platte geworden. Besonders Tracks wie „Share“ oder auch „Mad Love“ sind hier sehr zu empfehlen.

Wie ist jetzt das Gesamturteil der Platte? Ganz ehrlich, wenn ich da nicht drauf stehen würde, wäre es eine respektable Platte geworden, die sich mit Sicherheit an Acts wie z.B ZYNIC messen lassen muss, aber nicht unbedingt in allen Disziplinen als Verlierer durchs Ziel gelaufen wäre.

Web: www.boytronic.de

13.11.2017: Dave Clarke - The Desecration Of Desire

 

Dave Clarke ist vielen schon seit langer Zeit ein Begriff. Als Techno-Ikone und Remixer hat er sich im Laufe der Jahre einen Namen gemacht und sich für meinen Geschmack nie so wirklich dem Mainstream angeschlossen. In seinem Genre war er für mich immer ein bisschen Indie geblieben.

Jetzt nach so langer Zeit, fast fünfzehn Jahre nach seinem letzten Album, meldet sich der Großmeister mit „The Desecration Of Desire“ endlich zurück und setzt wieder neue Maßstäbe. Ein Klangteppich abseits der Masse, der auch mir nicht sofort ins Ohr ging. Gerade weil man heutzutage von so vielen massenkompatiblen Platten überhäuft wird, erweist sich „The Desecration Of Desire“ als Insel in der Brandung. Schwerfällige Beats gepaart mit fesselnden Gastvocals, so bohrt sich die Platte immer mehr in mein Hirn.

Erster Hinhörer für mich ist „Is Vic there“. Der Einstieg in die Platte ist gemacht und macht mich bereit für das Gänsehaut erzeugende „Frisson“ unterstützt durch Mt.Sims. Es ist eine Klanglandschaft, die auch wenn es wohl keine Technoplatte sein soll, sehr vielschichtig erscheint, so dasses an allen Ecken und Kanten bumst und knarzt.

Nahezu soundtracktypische Kompositionen wie das dramatische „Dot Fourty One“ oder das ein bisschen nach Minimalelectro klingende „I’m not afraid“ zeigen auf, wie Clarke die Platte hat entstehen lassen. Man kann fast in der Platte lesen, wie Dave Clarke wann drauf gewesen muss. So ist die Platte auch chronologisch entstanden und die Tracks gemäß ihrer Entstehung aufgereiht.

Besonders erwähnen muss ich auch die tolle Zusammenarbeit Dave Clarkes mit Mark Lanegan. Der gute Mark wird vielen eher durch die Zusammenarbeit mit den Soulsavers bekannt sein. Dabei hat er auch erfolgreich u.a. mit Moby oder UNKLE zusammen gearbeitet. Seine Vocals verleihen „Charcoal Eyes“den passenden Biss, das als Vorabsingle bereits großen Appetit auf das Album gemacht hat und für mich auch das treibendste und am ehesten floorgeeignete Stück in der Anreihung von zehn außergewöhnlichen Tracks bietet.

Dave Clarke hat gut daran getan, sich so lange für die Platte Zeit zu lassen. So konnte etwas Außergewöhnliches reifen und gedeihen. Eine Ansammlung stilistischer Einflüsse verpackt in ein Paket aus elektronischer Faszination. Danke dafür!

Web: www.daveclarke.com

25.04.2017: WELLE:Erdball - Gaudeamus Igitur

 

Es ist mir ein Rätsel, wie WELLE: Erdball es machen. Seit über zwanzig Jahren produzieren sie bereits Platten, die irgendwo zwischen 50er Jahre-Romantik, NDW und Minimalelektro platziert sind. Und dieses Genres bedienen sie auch bedingungslos, ohne irgendwelche aktuellen Musikeinflüsse zu beachten.

Das Konzept lebt zwar mittlerweile schon sehr berechnend, aber trotzdem scharen Honey, A.L.F. und die Mädels in wechselnder Besetzung ihre Anhängerschaft um das Radiogerät.

Gerade dreht sich die neue E.P. „Gaudeamus Igitur“ in meinem Player, und alles ist wie immer bei WELLE:Erdball. Dachte ich zumindest. „Vespa 50N Special“ reiht sich ein in die Huldigungen gewisser Fortbewegungsmittel, die wir seit gut fünfzig Jahren kennen sollten. Dabei will Honey doch eigentlich nur eine Sache, kann sie aber in schöne Worte fassen. Und die holde Maid geht ihm auf dem Leim. Bei dem titelgebenden „Gaudeamus Igitur“ bin ich doch ein wenig überrascht. Der Klassiker in Latein dargeboten ist schon hörenswert. Und mir fällt auf, dass WELLE: Erdball gewohntes musikalisches Terrain verlassen. „Gaudeamus Igitur“ ist eine voluminöse Darbietung mit viel Platz für Klang und Raum. Der Minimalismus tritt ein wenig in den Hintergrund. Und ebenso erscheint mir bei „2000 Meilen unter dem Meer“ das Moderne ganz zaghaft Einzug zu halten. Bahnt sich da doch eine Weiterentwicklung an, die ich nicht für möglich gehalten habe? Es scheint so, dass sie sich bewegen.

„Die letzte Chance zu leben“ zeigt gut auf, dass auch eine Funkapelle wie WELLE: Erdball sich vor der Realität nicht verschließen kann. Weltuntergangsstimmung im Dreivierteltakt. Da macht der Weltuntergang doch endlich wieder Spaß. Auch wenn das Thema so bitter ist, muss man halt nicht immer Trübsal blasen. Dafür ist es dann sowieso zu spät und wir treten mit einem Lächeln ab.

Auch wenn WELLE: Erdball hier nur eine gut gefüllte E.P. vorlegen, machen sie sich dieser Tage auch wieder auf Tour. Und ich bin mir sicher, dass die neuen Stücke sich gut in das Repertoire einfügen und so die Wartezeit bis zur neuen Fulltimesendung gut überbrückt wird.

25.04.2017: [:SITD:] - Trauma Ritual

 

Wenn ich es genau bedenke, habe ich tatsächlich in den vergangenen Jahren keine schlechte Platte von [:SITD:] zu hören bekommen. Ausgefeilte Kompositionen, die in unglaubliche elektronische Klänge verpackt werden. Qualitativ hochwertiger Future-/Electropop, der seinesgleichen sucht und den Vergleich mit den großen Bands nicht zu scheuen braucht.

Auch jetzt in 2017 haben [:SITD:] nichts an ihrem Reiz verloren. „Trauma-Ritual“, das mittlerweile sechste Studioalbum, steht seinen Vorgängern in nichts nach. Eine Platte, die danach schreit, laut gehört zu werden. Mit vielen Highlights, mit Wiedererkennungswert. Beim ersten Durchhören der Platte ist mir als erstes das treibende „Cicatrix“ aufgefallen. Ob nun wegen der wummernden Bassline oder doch wegen des fast schon eingängigen Refrains kann ich jetzt nicht so genau festlegen.

„Genesis“ stampft da schon etwas schwerfälliger und aggressiver durch die Boxen. Der Track, der vorab als Single veröffentlicht wurde klingt wie eine Anklage und Verurteilung in einem. „Just give me back my genesis, give me back my soul“, fordert Carsten ein.

Ein besonderes Highlight in vielerlei Hinsicht ist für mich „Companion“, weil der Track von Keyboarder Thomas gesungen wurde, der für meinen Geschmack bessere gesangliche Qualitäten hat als Carsten, der sich mit Sprechgesang begnügt. Wenn ich die Augen schließe, muss ich zwangsläufig an die alten Zeiten von Apoptygma Berzerk denken, als diese noch aktiv waren. Wobei [:SITD:] hier nicht kopieren, sondern den Bogen weiter spannen und mir ein bisschen Hoffnung geben, dass der „Futurepop“ auch heute noch qualitativ wertvoll produziert werden kann.

Die Aggrotech-Schiene kosten [:SITD:] bei „Post-Factual-Age“ mehr als aus. Kein geringerer als Donald Trump wird gesampelt. Das Instrumentalstück strotzt nur so vor aggressiver Grundstimmung, dass der folgende Track „Mundtot“ leider ein bisschen verlorengeht. Dabei setzt sich der Track direkt mit einem bitteren Thema auseinander. Die Beeinflussung der Menschen durch Manipulation und Diktatur. Die Läuterung erfolgt dann mit dem Track „Elegie“. Das Verschließen vor der Realität und die Suche nach einem Versteck, um dem ganzen Wahnsinn zu entgehen, bringt „Trauma Ritual“ auf den Punkt. Eine Platte, die sich mit dem auseinander setzt, was uns heutzutage in der übertriebenen Welt um die Ohren fliegt. Gibt es einen Ausweg? Das Armageddon wird [:SITD:] nicht aufhalten, aber sie liefern die derzeit beste Platte, um unseren Wahnsinn zu untermalen.

25.04.2017: Zynic - Neon Obvilion

 

Wie schön ist doch die Welt! Ein bisschen Synthiepop hat noch nie geschadet. Auch wenn man meinen könnte, dass gerade im Bereich der elektronischen Popmusik eigentlich kein Blumentopf mehr zu holen ist. Ist das Feld doch in den letzten zwanzig Jahren von zu vielen schlecht produzierten Acts kaputt gemacht worden. In dieser dunklen Zeit war es im Jahre 2011, als mit Zynic, dem Projekt um Peter Siemandel, endlich auch qualitativ das Licht wieder angeknipst wurde. Nicht nur durch das wunderbare Depeche Mode-Cover „Any second now“ hat Zynic schnell eine Duftmarke gesetzt.

Jetzt liegt mit „Neon Obvilion“ das bereits dritte Album von Zynic vor mir, und mein kleines Herz hüpft vor Freude durch die Wohnung. Schon das albumbetitelnde „Neon Obvilion“ schreit mich an, dass ich verdammt nochmal die Anlage lauter machen soll. Es wird das Rad nicht neu erfunden, aber Zynic haben schon beim ersten Track einen neuen Riemen auf die Orgel gelegt. Electropop im Jahre 2017 hat seine Berechtigung, und die mittlerweile vierte oder fünfte Generation ist endlich wieder imstande, gute Popmusik zu produzieren.

Dabei kommt es mir so vor, als wenn Zynic sich nicht zu sehr an den alten Helden bedienen. Es klingt frisch, auch wenn man immer wieder danach sucht, wo man diese Bassline oder das Synthie vielleicht schon einmal gehört haben könnte. Es klingt wie eine Platte, zu der man im Geiste schon tausend Nächte durch getanzt hat, obwohl man sie gar nicht kennt.

Während Zynic auf den ersten beiden Platten jeweils eine Coverversion (Any Second Now & Boys of summer) untergebracht hatte, hat er es dieses Mal anders gemacht. „Slice of life“ ist angelehnt an einen alten Anne Clark-Klassiker, wobei der auch ganz schnell wieder in dem Track versinkt. Es wabern DM-Samples durch den Raum, und ich bin überrascht, dass ich diesen Track fast nur mit guten alten Neuroticfish-Sachen vergleichen kann, als diese noch eine wichtige Hausnummer waren.

„Trümmer“ spricht da eine andere Sprache und ist in der heutigen Zeit aktueller als es uns lieb ist. Eine Anklage an die neue rechte Gesinnung, die leider mittlerweile wieder salonfähig wird. Das Leben ist halt nicht nur Party und Blitzlicht. Aber Zynic finden hier die richtige Ansprache irgendwo zwischen Kraftwerk und DAF.

Ich bin Synthiepopper, und Zynic zeigen auch warum. Der Glaube an gute Melodien und tanzbaren Tracks ist nicht verloren, und vielleicht bricht ja wirklich wieder eine Zeit guter Electropop- und Danceplatten an. Ich bin auf jeden Fall dabei.

Besonders möchte ich Euch auch die blaue Vinyl-Edition ans Herz legen. Nicht nur für Sammler ein Muß, sondern für alle, die gute Popmusik im passenden Rahmen genießen wollen.

11.04.2017: Palast - Palast

 

Es ist schon merkwürdig, wie oft man in all den Jahren versucht hat, die guten alten achtziger Jahre kulturell auszuradieren. Musikalisch wie auch in der Mode. Es war alles irgendwann uncool, und viele selbsterklärte Stilikonen distanzierten sich lautstark gegen das Jahrzehnt des Plastikpop und der schrecklichen Mode.

Dass die Achtziger aber mittlerweile wieder hoffähig sind, merkt man gut und gerne daran, dass es einem heute überall die Referenzen an das Jahrzehnt ins Gesicht schlägt. Besonders in der Musik ist es immer wieder zu merken. Egal, ob die Helden von früher wieder oder noch immer da sind oder ob sich der musikalische Nachwuchs auf die Zeit des kalten Krieges bezieht. Bewusst oder unbewusst, die Achtziger sind allgegenwärtig.

Palast heißt die Band, dessen Debut sich gerade in mein Herz dreht. Ihr selbstbetiteltes Album transferiert nicht nur in die Achtziger, sondern kombinieret den Einfluss des Synthiepop gekonnt mit modernen Produktionsmöglichkeiten. Die Platte beinhaltet Perlen wie das dramatische „Tell me why“ oder das Italo-Disco-beeinflusste „She can dance“, die man auf jeder Achtziger-Compilation unterbringen könnte, ohne dass es selbst fundierten Zeitzeugen auffallen würde.

Bemerkenswert sticht für mich die erste Single „Mirror Mirror“ in der Ansammlung von Hits hervor. Dass Mastermind Sascha Pace auch in Sachen Songwriting kein Amateur ist, wurde mir schon beim ersten Durchlauf klar. „Mirror Mirror“ hat auch oder gerade wegen des eingängigen Refrains Mainstreamcharakter und wäre für mich eine Bereicherung in der deutschen Radiolandschaft.

Und der Faden zieht sich auch weiter durch die Platte. Das getragene „Nightfall“ mit seinem bombastischen Refrain ist ebenso ein Beispiel dafür, dass ich mich frage, wo diese Band in all den Jahren war.

Alles hat ja bekanntlich irgendwann auch mal ein Ende, und das Ende der Platte lässt mich mit dem grandiosen „Unraveling Skies“ zurück und ich bekomme von diesem modernen Nostalgieflash fast nicht genug.

Aber was macht „Palast“ jetzt so herausragend? Die charakteristische Stimme von Sascha Pace, die irgendwo zwischen Pascal Finkenauer und vielleicht Glen Gregory (Heaven 17) angesiedelt ist, die herausragenden Kompositionen oder doch die Retroproduktion mit modernen Mitteln? HURTS haben es auf internationaler Ebene vorgemacht und haben sich dann irgendwann selbst verbraucht. „Palast“ bietet durch die Mischung von allem einen komplexen Mix, der die Platte auch bei mehrfachem Hören nicht abnutzt.

Live haben PALAST sich bereits auf Tour mit Joachim Witt bewiesen und werden jetzt auch Mono Inc. auf ihrer anstehenden Tour begleiten. Wenn es live auch nur halbwegs so unterhaltsam ist, wie auf der Platte, wird es für mich ein Vergnügen werden.

Veröffentlichung: 21,04.2017 NoCut/SPV

On Tour with Mono Inc.:

20.04.2017 Hannover / Musikzentrum

21.04.2017 Oberhausen / Turbinenhalle

22.04.2017 Wilhelmshaven / Pumpwerk

27.04.2017 Frankfurt / Batschkapp

28.04.2017 Nürnberg / Hirsch

29.04.2017 München / Backstage

05.05.2017 Stuttgart / Wizemann

06.05.2017 Leipzig / Haus Auensee

12.05.2017 Dresden / Kleinvieh

13.05.2017 Berlin / Huxleys Neue Welt

18.05.2017 Osnabrück / Rosenhof

19.05.2017 Köln / Stollwerk

20.05.2017 Hamburg / Markthalle

 

www.palastband.com

 

11.04.2017: X-Marks The Pedwalk - Secrets

 

Ich weiß jetzt spontan gar nicht, wann ich X-Marks The Pedwalk das erste Mal zur Kenntnis genommen habe. Mal waren sie da, dann wieder für eine lange Zeit in der Versenkung verschwunden. Bleibenden Eindruck hat die Band in den ganzen Jahren bei mir ehrlicherweise nicht hinterlassen. Warum auch, sind sie doch in einer Zeit präsent geworden, wo es eine wilde und nicht immer hochqualitative Schwämme an Electronicbands gegeben hat. Da konnte es auch mal passieren, dass ein guter Act an einem vorbei geht. Aus heutiger Sicht.

Noch ist es ja nicht zu spät, denn schließlich haben X-Marks The Pedwalk sich jetzt mal wieder zusammengefunden, um wieder zu musizieren. „Secrets“ heißt das neue Album, und ich nehme mir für diese Platte mehr Zeit als für viele andere Platten. Bereits beim ersten Durchlauf habe ich für mich beschlossen, dass „Secrets“ eine ganz besondere Platte zu sein scheint. Feinste elektronische Klänge, die bei mir Erinnerungen und Neugierde auf mehr wecken.

„Masterpiece“ ist als Opener mehr als eine Programmansage für die Platte. Harte Beats mit verspielten Synthies und eine durch den Verzerrer gejagte Stimme von Sängerin Estefania zeigen auf, wo die Reise hingeht, und dass auch heute immer noch tolle innovative elektronische Tanzmusik produziert werden kann. Das albumbetitelnde „Secrets“ schließt sich dem nahtlos an. Wer den Track mit Frühwerken der Band vergleicht, wundert sich, welch Wandlung die Band doch durchgemacht hat. Vom EBM zu einem, nennen wir es mal „Mainstream“-Electro-Dancetrack. „Secrets“ würde sich wunderbar in die Radiolandschaft einbringen.

Anspruchsvoller wird es dann mit „Ghosts“, einem mystischen Dancetrack, der so ziemlich alles aus dem Hut zaubert, und den meine Nachbarn mittlerweile auch schon mitsummen können. Laut meinem iTunes der mit Abstand am meisten gespielte Track in meinem kleinen Reich. Wem es bei „Ghosts“ nicht juckt, danach zu tanzen, weiß nicht, was er verpasst. Hätte ich nicht in das Booklet geschaut, hätte ich es dann auch verpasst, zu bemerken, dass „Sacred“ nicht der zweite Part von „Ghosts“ ist. Dabei kommt mir besonders die Bassline so vertraut vor. In meinem Kopf denke ich an „Hypnotic Tango“, einem Achtziger-Italo-Klassiker. Es klingt nicht abgekupfert, sondern eher subtil beeinflusst. Gut gemacht!

Eine Gänsehaut bekomme ich bei „Breathe“, einer schwermütigen Ballade. „Words faded away, just memories… and I breathe“. Estefania scheint ums Überleben in der Einsamkeit zu kämpfen. Traurig, depressiv, allein.

Das Beste kommt ja meist zum Schluss, und so findet das Album mit „Crank Machine“ ein verdientes Finale voller Einflüsse, die von einem erfahrenen musikalischen Leben zeugen. Kraftwerk trifft auf The Cure und The Cure auf Italo-Disco. X-Marks The Pedwalk kombinieren viele Einflüsse auf “Secrets”, ohne dass es kopiert oder langweilig wirkt. Zwar haben sie heute nicht mehr viel mit der Band aus den Anfangstagen gemein, und die EBM-Einflüsse sind eher dem dancelastigen Electro gewichen, aber sie tun gut daran. „Secrets“ zeigt, dass sich eine Band nach all den Jahren immer noch ein Stück weiterentwickeln darf und still und leise neue Akzente setzt.

11.04.2017: Soldout - Forever

 

Ich weiß noch, als ich Soldout mit ihrem Electroclash mal als Support für FRONT242 für mich entdeckt habe. Seitdem sind schon so einige Jahre ins Land gezogen, aber ich habe bis heute das belgische Duo nie so wirklich aus dem Fokus verloren. Auch, wenn ich bei der letzten Veröffentlichung nicht so viel Gefallen gefunden habe, habe ich gerne auf die ersten Alben zurückgegriffen.

Mittlerweile legen Soldout mit „Forever“ ihr fünftes Fulltimealbum vor, und sie haben wieder zu ihrer alten Stärke zurückgefunden. Schon der Opener „Call me out“ zeugt für mich davon, dass Charlotte Maison und David Baboulis sich musikalisch weiterentwickelt haben, ohne sich und ihrem Stil untreu zu werden. Die Kompositionen klingen ausgereifter und sind voller Potenzial für mich. Das verspielte „Breaks“, das ein wenig wie ein Electro-Reggae-Stück klingt, zeigt die Leichtigkeit und Experimentierfreudigkeit auf, welche ich bei Soldout schon immer geschätzt habe.

Den Weg zurück finden Soldout mit dem Electroclash-Track „Do it again“, der meine Nachbarn wahrscheinlich schon in den Wahnsinn getrieben hat. Bereits beim ersten Durchhören hat sich „Do it again“ zu meinem Topfavoriten gemausert. Harte Bassline mit verspielten durchgeknallten Synthies. So will ich das haben. Und über allem steht Charlottes Stimme, die sich auf dem ganzen Album nicht in den Vordergrund drängt, sondern selbst zu einer Komponente des Ganzen zu werden scheint. Diese Floorfillereigenschaften finden sich ebenso in dem genialen „Opression“ wieder mit seinen Tempowechseln und den, wie soll es anders sein, EBM-lastigen Basslines. Die alte belgische Schule lässt sich nicht verleugnen.

Soldout haben auf „Forever“ eine breite Palette an Songstilen zusammengeführt, wie es viele nicht vermuten würden. Referenzen an den französischen Chanson, Berliner LowSpirit-Einflüsse und Oldschool-EBM auf einer Platte zu mischen, ohne dass es chaotisch wirkt, ist eine Gabe, die ich an Soldout sehr schätze. Von daher lege ich jedem Interessierten an elektronischer Musik die Platte wärmstens an Herz.

Dank prominenter Hilfe könnten Soldout jetzt auch einem breiteren Publikum bekannt werden. So hat keine geringere als Madonna auf ihrem offiziellen Instagram-Account „Forever“ angepriesen. Und auch, wenn die Dame schon in die Jahre gekommen ist, Geschmack beweist sie immer noch. 

29.03.2017: Depeche Mode - Spirit

 

Ich habe bewusst gewartet, bevor ich mir eine Meinung bilde zu dem, was im Vorfeld heiß diskutiert und verrissen wurde. Depeche Mode haben es mal wieder geschafft. Auch mit ihrem 14. Studioalbum „SPIRIT“ polarisieren sie wieder einmal und teilen ihre Anhängerschaft in die Lager der Lover und der Ewiggestrigen Hater.

Nach den aus heutiger Sicht gesehen eher durchschnittlichen Alben der letzten zwei Dekaden haben Depeche Mode mit ihrem neuen Produzenten James Ford eine kraftvolle, kantige Platte gemacht, wie ich sie ehrlicherweise heute nicht mehr erwartet hatte. „SPIRIT“ ist böse und direkt. Martin Gore hat, wie ich finde, seit 1983 nicht mehr so politisch orientiert seine Texte verfasst und, auch wenn es schon tausendmal gesagt wurde, die wohl aktuellste Platte gemacht die 2017 einen gesellschaftskritischen Soundtrack zum Leben bietet.

„Going Backwards“, der Opener der Platte, ist eine klare Ansage an das, was wir mit unserer Gesellschaft betreiben. Ein Raubbau an der Vernunft und Menschlichkeit und ein Abdriften in die Anonymität der sozialen Medien. Selten wurde ein Depeche Mode-Album mit so einem druckvollen Stück eröffnet, das seine ganze Entfaltung erhält, wenn es laut durch die Boxen dröhnt, bzw. Depeche Mode ihre gerade absolvierten Kleinkonzerte (Berlin, Paris, Glasgow) eröffnen. „Going Backwards“ zeugt von einem Rock und Blues, dem Martin Gore und Dave Gahan hinterher hecheln, seitdem Dave damals mal anfing, das Geld für den Friseur zu sparen.

„Where‘s the revolution“ hat bei mir einige Zeit gebraucht. Das ist vielleicht auch den modernen Medien zu schulden, da ich heutigen Veröffentlichungen in nicht physischer Form (Vinyl, CD) nicht viel abgewinnen kann. So hat das Stück sich für mich auch erst auf „SPIRIT“ so richtig eröffnet. Die Frage, die für mich allerdings unbeantwortet bleibt, ist die, wo Martin Gore dann steht, wenn andere den Mut haben, auf die Straße zu gehen. Ob er sich dem Zug dann anschließt (Get on board…) oder doch nur zuschaut, bleibt ein wenig offen. Zweifellos hat „Where’s the revolution“ aber das Zeug zu einem Klassiker und kann sich mit zu Stücken wie „People are people“ oder „Wrong“ einreihen.

„The worst crime“ ist so düster und deprimierend, dass es für das ganze Album steht. Hier kommt für mich das erste Mal positiv zur Geltung, dass Dave Gahan sich durch seine Arbeit mit den Soulsavers stimmlich deutlich weiter vorwagt, als noch auf der „Delta Machine“. Von dem Szenario, was Gore in seinem Text aufzeichnet, fühle ich mich an die Zeiten von „Shame“ (von „Constrution Time Again“ 1983) erinnert. Es ist eine Anklage. Punkt, aus!

Was man Depeche Mode, auch wenn sie immer so hart und tough wirken wollten, nie nachsagen konnte, ist, dass sie boshaft oder radikal sind. Mit „Scum“ kehrt eine hasserfüllte Stimmung ein, die mir bei so viel Direktheit das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Pull the trigger…!“ fordert Gahan mit aggressivem Ton und macht dem Angesprochenen unmissverständlich klar, dass er das Recht zu leben verwirkt hat.

Erstaunlich ist, dass der beste Track auf „SPIRIT“, wenn nicht sogar das beste und tiefgründigste Stück von Depeche Mode seit „Clean“ (Violator 1990) oder vielleicht „In your room“ (Songs Of Faith And Devotion 1993), nicht aus der Feder von Martin Gore stammt. Dave Gahan braucht zwar immer noch Hilfe beim Komponieren, diesmal durch Christian Eigner und Peter Gordeno, aber „Cover me“ ist ein Seelenstriptease mit einer zuckersüßen Melodie, wo Gahan gesanglich zu absoluter Höchstform aufläuft.

„SPIRIT“ zeugt von einer Arbeit, die bestärkt wird durch die Unterstützung von James Ford. Depeche Mode biedern sich nicht jungen Trends an, sondern sie bleiben auf ihrer Spur und schaffen weiterhin ihr eigenes Genre. Waren Depeche Mode durch ihre Arbeit mit Ben Hillier, Mark Bell und Tim Simenon eher auf Minimalismus konzentriert, hat James Ford ihnen wieder eine klangliche Tiefe und Breite nahegebracht, wie sie nur zu Zeiten von Flood und/oder Alan Wilder vorhanden war.

Aber warum polarisiert „SPIRIT“ dann so? Ist es die Tatsache, dass Depeche Mode immer noch auf der Suche sind? Kaum eine andere Band schafft es in mehr als 35 Jahren Bandgeschichte, dass keine Platte der anderen ähnelt. Schon mit dem Stilwechsel von „Violator“ zur „Songs Of Faith And Devotion“ haben sie es ihrer Anhängerschaft nicht leicht gemacht und mit Sicherheit auch einige auf ihrem Weg verloren. Aber die Gegenwart gibt ihnen uneingeschränkt recht, dass sie immer noch auf dem richtigen Weg sind. Kritische Stimmen wird es in der Anhängerschaft von Depeche Mode immer geben. Keiner kehrt ohne Grund der Band den Rücken, aber seltsamerweise erinnern mich die Fans von Depeche Mode Partnern in einer langanhaltenden Beziehung. Früher war alles besser. Bei Depeche Mode war es die Musik, die Texte, das Aussehen. In einer Partnerschaft war es das Vertrauen, der Sex und vielleicht die Liebe. Zwar ist alles weg, aber man erträgt es weiterhin, weil man sonst nichts mehr im Leben hat, worüber man sich aufregen kann. Natürlich kann man versuchen „SPIRIT“ mit einem Frühwerk von Depeche Mode vergleichen, aber seien wir mal ehrlich zueinander. Schauen wir in den Spiegel, haben auch wir uns verändert, oder?

Und Veränderung zeugt von Erfahrung, und Erfahrung zeugt von Leben. Und Depeche Mode leben auch 2017 immer noch, und das hoffentlich noch lange.

31.01.2017: Austra - Future Politics

 

Frauenprojekte in der elektronischen Musik sind nicht ganz so weit verbreitet, wie wir es manchmal glauben. Und dann unter den wenigen Projekten auch noch die guten zu filtern, ist meist noch schwerer. Einfach, weil die Bandbreite nicht vorhanden ist.

Ein Ausnahmeprojekt ist ohne Zweifel die Band AUSTRA. Die kanadische Band veröffentlicht mit „Future Politics“ bereits ihr drittes Album und malt elektronische Bilder an die Wand, die zu dieser Zeit ihresgleichen suchen. Ist es Musik für den Tanzboden oder doch eher zum Zurücklehnen und zuhören? Gekonnt verschwimmen bei dieser Platte die Grenzen. Die Stimme von Katie Stelman schwankt zwischen der elfengleichen Atmosphäre einer Susan Sundfor und manchmal auch einer Übergestalt wie Björk. Die Tracks sind experimentell und doch fesselnd.

Die erste Single „Utopia“ hat mich gleich gefangengenommen. Wundervoller Elektropop mit weichen Melodien und treibendem Beat. „I am a monster“ klingt wie ein Seelenstriptease, wenn man ganz unten angekommen ist. „I dont feel nothing anymore“ klagt Stelman und vor meinem geistigen Auge sehe ich eine Gestalt im freien Fall. Die Welt um sie herum rauscht vorbei und sie kann nur noch beobachten und fühlt bei allem, was um sie herum passiert, nichts. Egal ob persönliche Tragik oder die depressive Endzeitstimmung in der Welt. Es rauscht unaufhaltsam an ihr vorbei und lässt sich nicht stoppen.

Aber nicht die ganze Platte strotzt vor depressiver Melancholie. Eine gewisse Hoffnung setzt bereits bei „Angel in your eye“ und spitzt sich in dem sehr tanzbaren „Freepower“ weiter zu. Macht Euch frei von den Zwängen, die Ihr Euch selber angeeignet habt und Euch durch die Medien und der Technik aufdiktiert wurden.

„Future Politics“ strotzt für mich voller Widersprüche in sich. AUSTRA malen uns eine Zukunft, die wir nicht bestimmen oder erahnen können. Sie haben auf der langen Reise eine Platte kreiert, die besser das Heute und Morgen nicht beschreiben kann. Der Tanz auf dem Vulkan und das Lecken der Wunden danach. Die Welt steht am Abgrund, und wir schauen über den Rand und erwarten voller Freude das Grauen. So würde ich „Future Politics“ am ehesten beschreiben. Keine Platte für das Autoradio, mehr für den Klangfanatiker, den Zuhörer, den Genießer.

Am Ende des Tunnels wartet Stelman und breitet ihre Arme aus. Wir sind nicht in Sicherheit, aber wir sind entschleunigt. Mehr brauchen wir doch im Moment auch gar nicht.

 

05.01.2017: Mono Inc - Together Till The End

 

In den letzten Jahren habe ich Martin Engler und seine Mitstreiter von Mono Inc. in mein kleines Herz geschlossen. Wenn ich mich so durch ihren Backkatalog höre, finde ich keine einzige Platte, die mich enttäuscht hat, und ich rechne den vieren hoch an, dass sie sich auf der Bühne im wahrsten Sinne des Wortes den Arsch abgespielt haben. Wie sie das konditionell aushalten, ist mir ein Rätsel. Aber wenn man Mono Inc. schon mal live gesehen hat weiß man, dass sie Spaß an der Sache haben und immer wieder den Ehrgeiz verspüren, immer die beste Show zu spielen.

Nachdem es sie mit dem letzten, mittlerweile auch schon zwei Jahre alten Album „Terlingua“ in den wilden Westen verschlagen hatte, sind sie diesmal in See gestochen um gemeinsam die Weltmeere bis zum bitteren Ende zu bereisen. Dabei wirkt der Titel der neuen Platte mit „Together Till The End“ für mich etwas doppeldeutig. Zum einen als Treueschwur, zum anderen wie ein Abschied. Und dieser Faden zieht sich für mich durch das gesamte Album. Sie gehören zusammen und keiner ohne den anderen.

Der Opener „The Banks Of Eden“ beschwört den Seefahrergott herauf, und eine maritime Stimmung kommt schon auf, wenn Engler das Schiff durch den Sturm steuert. Mit viel Humor klingt es wie ein Seemannslied. Mono Inc. meets Santiago. Nur nicht so abgedroschen, sondern so wie Mono Inc. es am besten können. Sie erzählen eine Geschichte von Abschiedsschmerz, aber das Schiff muss hinaus in die See.

Das albumbetitelnde „Together till the end“ ist da schon mehr wieder der Engler, wie ich ihn kenne. Die Einheit wird beschworen. Der Mann hat eine Hand für gute Melodien und verpackt diese mit Hilfe seiner Mitstreiter in ein Stück, dass wir vielleicht schon mal gehört haben, aber trotzdem anders und neu sind. Düsterer wird es dagegen schon bei dem Stück „Boatman“. Ein Stück, das sich gleich beim ersten hören in mein Hirn gebrannt hat. Nicht nur, weil kein geringerer als Ronan Harris (VNV Nation) hier sein Debüt als Duettpartner gibt. Das Stück ist einfach ein Brett. Wie oft haben wir schon nach demjenigen gerufen, der uns weit weg von dem bringt, was wir nicht mehr ertragen können oder wollen. Das Stück bereitet mir eine eisige Gänsehaut, was dieses Mal gar nicht so unangenehm ist.

Ein weiteres Highlight auf der Platte ist mit Sicherheit „Children of the dark“. Hier haben Mono Inc gleich mehrere Gäste eingeladen. Martin Engler teilt sich den Gesang mit keinen geringeren als Joachim Witt, Tilo Wolff (Lacrimosa) und Chris Harms (Lord Of The Lost). Der Track hat das Zeug zur Hymne der dunklen Szene und so wird es auch gepusht. „Forever and a day“ ist ein weiteres Stück in dem Abschiedsschmerzpuzzle der Platte. Es ist ein kleiner Blick in den Spiegel, wo wir einsehen müssen, dass nicht alles wirklich immer so schön ist, da wir uns immer wieder selber ein Bein stellen. Den Refrain singt Engler hier zusammen mit Kata Mia, der Schlagzeugerin der Band. Warum bekommt sie eigentlich bei ihrem stimmlichen Können nicht mal einen Solotrack? Verdient hätte sie es schon so lange.

Abgeschlossen wird das Album durch das Stück „This is my life“, was ein bisschen für mich wie eine Erklärung ist für das, was in der nächsten Zukunft kommen wird. Engler beruft sich darauf, sein Leben zu leben und er steht dafür ein, was er macht. Bis zum Ende seines Lebens. Egal, wo der Ozean hinführen wird. Die Reise ist noch nicht zu Ende.

 Was mir beim durchhören der Platte auffällt ist, dass Mono Inc. konsequent auf deutsche Texte verzichten. Ebenso sind die Texte zwar voller subtiler Aussagen, aber ohne persönlichen Bezug zu nehmen. Einen Gefühlsausbruch wie bei „An klaren Tagen“ gibt es dieses Mal nicht. Vielmehr besticht die Platte durch ihre Geschlossenheit in der Thematik des Seefahrers.

 Als der Albumtitel bekannt gegeben wurde, klang alles nach Treueschwur und als das Cover veröffentlicht wurde, sah es aus, wie eine große Reise, die niemals enden könnte. Doch unlängst hat Martin Engler auf der vergangenen Tour angekündigt, dass Mono Inc. sich nach diesem Album und der folgenden Tour aus dem Rampenlicht zurückziehen wird. Ob für eine kurze Pause oder doch für immer bleibt abzuwarten.

14.12.2016: The Boss Hoss - Dos Bros Live

 

Ich weiß ehrlich nicht, was alle an The Boss Hoss so finden. Okay, durch ihre Auftritte als Jury bei „The Voive“ und als Gäste bei „Sing mein Song“ haben sie ihren Bekanntheitsgrad nochmals erhöht. Wenn man bedenkt, wo die Jungs her kommen, muss man schon seinen Hut ziehen. Sie haben sich in den letzten Jahren im wahrsten Sinne des Wortes, den Arsch abgespielt. Und gerade live sind The Boss Hoss eine große Bank. Das habe ich vor ein paar Jahren, bei ihrer ersten Fulltime-Live-DVD „Flames of Fame“ schon mal erleben können. Selbst wenn man sonst ihre Musik nicht so mag, irgendwann lässt man sich von den Livequalitäten von The Boss Hoss anstecken.

Als Dankeschön an die Fans haben sie jetzt das kleine Livealbum „Dos Bros Live“ plus DVD auf den Markt geworfen. Und auch hier passiert es wieder, dass man sich von der Show unweigerlich anstecken lässt. Die Jungs sind dabei gar nicht so ansehlich, trotzdem stehen die Frauen drauf. Warum nur? Das Album, sowie die DVD enthalten die besten Tracks des gleichnamigen Studioalbums plus ein paar ganz wenige Zugaben.

Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn sie „Joline“ zusammen, wie wir es alle kennen, mit den Common Linnets geträllert hätten, aber wir können ja nicht alles haben. Als kleines Geschenk unter dem Gabentisch macht sie das Album ganz gut. Es als Fulltimealbum würde ich es nicht bezeichnen wollen, aber als Geschenk an die Fans für die letzten zwei Jahre erfüllt es seinen Zweck. Leider wird aber das Liveerlebnis dadurch ein wenig getrübt, dass die DVD aus einzelnen Clips besteht und die Tracks nicht als komplettes Konzert zusammen geschnitten wurden. Das hätte man besser machen können. Die DVD lebt von schnellen Schnitten und einem wirklichen guten Bild. Im Audiobereich ist die DVD sowie die CD verdammt gut gemischt. Was das Ganze noch amüsanter macht ist, wenn man in den ersten Reihen des Publikums tatsächlich bekannte Gesichter sieht.

11.12.2016: Eisfabrik - Achtzehnhundertunderfroren

 

Als ich das erste Mal von Eisfabrik gehört habe, hatte ich befürchtet, dass es sich wieder einmal um ein Projekt ohne lange Halbwertzeit handelt. Aber schon das erste Album „Eisplanet“ (2015) hat mich positiv überrascht. Die gemeinsame Tour mit Mono Inc. lief für das Trio auch recht erfolgreich. So ist es kein Wunder, dass Eisfabrik jetzt bereits mit dem zweiten Album „Achtzehnhundertunderfroren“ nachlegen.

Die Platte macht im Großen und Ganzen da weiter, wo „Eisplanet“ an seine Grenzen gestoßen ist und geht noch ein großes Stück weiter. Treibende Beats, grandiose Melodien und so ziemlich jedes Stück auf der Platte ein potenzieller Floorfiller. Schon der hymnenhafte Opener „The Coldest Summer“ lädt auf eine Reise in die kalten Regionen der Erde ein und lässt das Eis schnell schmelzen. Und es geht so auch weiter. Die drei Jungs von Eisplanet haben ihr Handwerk gelernt und die Maschinen fest im Griff. Die Platte auf Zimmerlautstärke zu drehen grenzt an ein Verbrechen. „A Murdered Love“ lässt sich fast mit nichts szeneähnlichem vergleichen. Futurepop oder doch Hardfloor-EBM? Das Weiß ist das neue Schwarz.

Aber Eisfabrik können nicht nur laut und hart wie Väterchen Frost sein. Electro und deutsche Texte können schnell peinlich wirken. Die beiden Stücke „Zu den Sternen“ und „Die letzte Seefahrt“ zeugen von dem Können, nicht nur gute Musik, sondern gute Texte zu kreieren und beides so zu kombinieren, dass es Ohrwurmcharakter hat. „Zu den Sternen“ ist eine Liebesbotschaft eines einsamen Kämpfers, der sehnsüchtig nach seinem Herzmenschen sucht.

„Die letzte Seefahrt“, der Track mit dem das Album endet, hat was von Abschied vom Leben. Den Tod vor den Augen. Besser kann so eine vielfältige Platte kaum enden. Das Tempo wird gedrosselt, bevor sich Eisfabrik wieder auf die Reise machen.

Wohin wird die Reise gehen? Eisfabrik haben mit „Achzehnhundertunderfroren“ bewiesen, dass sie keine Eintagsfliege in der Electroszene sein werden, sondern dass die nächste Generation der Bands, auf die man sich freuen kann, bereits in den Startlöchern steht. Live sind Eisfabrik nicht weniger faszinierend als auf Platte. Da kann es dann schon mal sein, dass ein Yeti auf der Bühne tanzt, ein Roboter seinen Auftritt genießt, und dass es schneit. Die Jungs lassen sich was einfallen. Von daher kann man sich auf die anstehende Club-Tour Anfang 2017 schon jetzt freuen.

11.12.2016: KNIGHT$ - What's your poison e.p.

 

Ja, was soll ich sagen. Die Achtziger leben immer noch und sind nicht totzukriegen. Immer wieder gibt es Bands, die ihren Einfluss in dem Jahrzehnt der Schulterpolster suchen. Einige besser, andere eben nicht. Eine der für mich besten Bands, die in diesem Genre jagen, sind seit vielen Jahren Zoot Woman aus England. Aus Deutschland schwappte dieses Jahr Drangsal auf den Markt und versprach auch so einiges.

Jetzt gibt es aus England das nächste Achtziger-Ding. KNIGHT$ nennt sich die Formation und hat gerade die erste E.P. „What‘s Your Poison“ veröffentlicht. Ich bin überrascht, wie sehr sich KNIGHT$ an die Vorlagen aus Italopop und 80s-Disco doch halten.

Ich fühle mich schon fast genötigt, die vier Stücke ein weiteres Mal durchlaufen zu lassen, weil eine positive Stimmung erzeugt wird. Der Titeltrack geht ins Ohr und bleibt da auch wie ein lästiger Parasit hängen. Bei mir zumindest, bis ich zu dem Track „What we leave behind“ komme. Der Teufel liegt im Detail, und ich habe immer schon meine Favoriten auf B-Seiten und bei Bonustracks gefunden, die mich mehr begeistern als die eigentliche Single. Einziges Manko ist bei dem Stück, dass es mit zweieinhalb Minuten viel zu kurz ist. Hier hätte ich gerne eine gute alte Extended-Version auf mehrfarbigem Vinyl, die ich immer wieder drehen lassen würde.

Ein gutes Debüt, das aufhorchen lässt. Bleibt allerdings zu hoffen, dass KNIGHT$ auch langfristig so überzeugen können, ähnlich wie Zoot Woman, und immer wieder durch kleine Nuancen an den Reglern überraschen können.

KNIGHT$ ist derzeit in Deutschland als Support bei den Shows von Melotron auch live zu bewundern.

 

19.10.2016: The Mission - Another Fall From Grace

Dass ich von The Mission nochmal was zu hören bekomme, daran habe ich doch schon fast nicht mehr geglaubt. Und wenn es qualitativ eine so hochkarätige Platte wie „Another Fall From Grace “ist, dann hat sich das Warten mehr als gelohnt.

The Mission machen für mich quasi da weiter, wo sie mit ihrem letzten Album „The Brightest Light“ (2013) aufgehört haben. Einfühlsame Tracks, die immer wieder eine gewisse düstere Atmosphäre in sich tragen.

Wayne Husseys tiefe Stimme bereitet mir immer wieder Wohlbehagen. Natürlich sind die großen Zeiten von The Mission auch schon länger vorbei, was aber ihrer Kreativität keinen Abbruch tut. „Another Fall From Grace“ bietet für mich eine Zeitreise, ohne altbacken zu wirken. The Mission biedern sich nicht aktuellen Trends an, oder neuen Produzenten, die ihre Platten charttauglich pimpen. Und das ist auch gut so.

Schon der Albumtitel gebende Opener zeigt mir, ich bin wieder angekommen, wo ich mich wohlfühle. Das sind die Klänge, die ich als Soundtrack für diesen Herbst brauche. Meine absoluten Favoriten sind auf der Platte aber dann doch „Meet  Amor Phosis“ oder das bluesige „Only You & You alone“. Ich bekomme gerade bei letzterem eine wahre Gänsehaut. Kerze, Glas Rotwein und diese Platte. Danke!!!

Live sind The Mission immer schon eine sichere Bank gewesen. So wird es mit Sicherheit auch wieder auf dieser Tour sein, die ich persönlich jedem nur ans Herz legen kann.

27.09.2016: Beyond Obsession - Moments Of Truth

 

Es ist als Newcomer schon eine schwere Last. Das erste Album, oh wie toll und aufregend. Das zweite Album mit der großen Angst, ob man irgendwie an das Debut heran kommt. Der große Befreiungsschlag kommt dann meist mit der dritten Platte. Hier kann man die gemachten musikalischen Erfahrungen einfließen lassen und reflektieren, was man vielleicht bei den beiden Vorgängern besser gemacht hätte.

Zum großen hörbaren Befreiungsschlag haben Beyond Obsession jetzt mit „Moments of Truth“ haben sie sich qualitativ neu positioniert. Eine Lücke mit Einflüssen von OMD bis Howard Jones ausgefüllt, ohne noch irgendwie kopiert zu klingen. Bereits der Opener „Louder“ trägt seinen Namen zu Recht. Ich bin überrascht von der professionellen Energie, die von den beiden ausgeht. Eine sehr schöne Melodie und wie ich zugeben muss, keine Stimme mehr von Sänger Nils, die mir gleich auf die Nerven geht, weil er mir in die Ohren plärrt. Er hat an sich gearbeitet. Davon gehe ich aus, da er auch bei „Weight of Words“, meinem ersten Lieblingstrack auf der Platte, seine Stimme besser benutzt als auf den ersten beiden Alben zusammen.

Ich weiß nicht, was Beyond Obsession gemacht haben, nachdem sie vom Trio zum Duo geschrumpft sind, aber es hat ihnen gut getan. Wer sich die Komposition von „Moment of truth“ anhört, weiß gar nicht recht, wo er jetzt befindet. Im Jahre 2016 oder Irgendwo in den 80ern. Der Track weckt nostalgische Gefühle irgendwo bei Erasure oder OMD. Es ist eine Perle auf der Platte. Die Einfachheit ihrer Frühwerke ist Vielschichtigkeit in den einzelnen Tracks gewichen. Fein gemacht.

Und sie verstellen sich nicht auf „Moments of Truth“. Beyond Obsession können noch so die weißen Martens schnüren. Es sind nette Kerle, die eine Schwäche für Synthiepop haben. Und das ist gut so, da man, wenn ich ehrlich bin, Sänger Nils auch den Bad Boy nicht abnehmen würde.

Dafür können sie aber Drama. „Memories Fade“ ist so ein Track. Ein weiterer Track, wo mir auffällt, dass Beyond Obsession weiter gegangen sind. Ein Saxophon hätte ich jetzt nicht erwartet. Das Stück ist in meinen Augen musikalisch sehr anspruchsvoll und zählt zu meinen Favoriten. Wen verabschiedet Nils in dem Stück? Einen imaginären Freund oder vielleicht doch den abhanden gekommenen dritten Mann, der die beiden musikalisch vielleicht ausgebremst hatte? Wer weiß es schon so genau. Beyond Obsession haben sich wahrlich frei geschwommen und den Grundstein einer interessanten Karriere gelegt. Musik für den homo- und heteroerotischen Dancefloor zu gleichen Anteilen. Mehr davon, bitte - danke!


     

 

 

 
www.depeche-world.de

(c) 2001 - 2008  by @lf-web